Islamische Jurisprudenz zur Annahme des Nachnamens des Ehemanns

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Islamische Jurisprudenz zur Annahme des Nachnamens des Ehemanns durch eine konvertierte Frau in einem nicht-patronymischen Namenskontext

Einleitung

Diese Antwort befasst sich mit einer spezifischen und zunehmend relevanten Frage innerhalb der zeitgenössischen islamischen Jurisprudenz: Ob eine muslimische Frau, insbesondere eine Konvertitin, die in einem westlichen Land wie Deutschland lebt, den Nachnamen ihres Ehemanns nach der Heirat annehmen darf. Die besondere Situation des Anfragenden– bei der die Frau einen nicht-patronymischen Nachnamen wie „Müller“ trägt, der keine direkte Vater-Tochter-Beziehung impliziert – fügt der traditionellen islamischen Diskussion über Abstammung und Namensgebung eine entscheidende Komplexitätsebene hinzu.

Das islamische Recht legt großen Wert auf die Bewahrung des Nasab (Abstammung) aus verschiedenen rechtlichen, sozialen und spirituellen Gründen. 

Wir müssen jedoch zwischen traditionellem Nasab und modernen Nachnamen unterscheiden.

I. Die überragende Bedeutung der Abstammung (Nasab) im Islam

Kernislamische Richtlinien zur Abstammung

Islamische Lehren betonen unmissverständlich die Bewahrung der väterlichen Abstammung (Nasab). Dies ist primär in der koranischen Anweisung verwurzelt: 

ٱدۡعُوهُمۡ لِأٓبَآئِهِمۡ هُوَ أَقۡسَطُ عِندَ ٱللَّهِۚ فَإِن لَّمۡ تَعۡلَمُوٓاْ ءَابَآءَهُمۡ فَإِخۡوَٰنُكُمۡ فِي ٱلدِّينِ وَمَوَٰلِيكُمۡۚ [الأحزاب: 5]          

„Nennt sie (adoptierte Söhne) nach den Namen ihrer Väter; das ist gerechter vor Allah…“ [al-Ahzaab 33:5]. Dieser Vers, obwohl er sich spezifisch auf adoptierte Söhne bezieht, wird von vielen Gelehrten weitreichend so interpretiert, dass er die grundlegende Bedeutung der Zuordnung von Individuen zu ihren biologischen Vätern unterstreicht.

Prophetische Überlieferungen bekräftigen dieses Prinzip mit strengen Warnungen vor der falschen Zuordnung zu jemand anderem als dem eigenen Vater. Der Prophet (Friede und Segen Allahs seien auf ihm) sagte: 

ليسَ مِن رَجُلٍ ادَّعَى لِغَيْرِ أبِيهِ – وهو يَعْلَمُهُ – إلَّا كَفَرَ

„Jeder Mann, der sich wissentlich jemand anderem als seinem Vater zuschreibt, ist des Kufr (Unglaubens) schuldig. Wer sich einem Volk zuordnet, mit dem er nichts zu tun hat, der soll seinen Platz in der Hölle einnehmen.“ (Al-Bukhari 3508 und Muslim 61).

Das Konzept des Nasab und seine Bedeutung

Nasab (Arabisch: نسب, wörtlich: „Abstammung“) bezieht sich auf die Verwandtschafts- oder Abstammungsbeziehung, primär über die väterliche Linie. Es dient dazu, Familienmitglieder durch ein dauerhaftes Band zu verbinden, das durch Blutsverwandtschaft miteinander verbunden ist.

Historisch und juristisch ist Nasab für verschiedene Aspekte des islamischen Lebens von entscheidender Bedeutung:

  • Identifikation: Es identifiziert Individuen innerhalb einer Gemeinschaft und eines Stammes klar, was in der mittelalterlichen arabischen Stammesgesellschaft von entscheidender Bedeutung war.
  • Rechte und Pflichten: Es bestimmt rechtliche Rechte und Pflichten, einschließlich Erbschaft, Vormundschaft und finanzieller Unterstützung.
  • Heiratsverbote: Es verhindert Ehen innerhalb verbotener Verwandtschaftsgrade.

 

Das traditionelle arabische Namenssystem spiegelt diese Betonung direkt wider, indem es typischerweise den Vornamen (Ism) des Individuums enthält, gefolgt von „Ibn“ (Sohn von) oder „Bint“ (Tochter von) und dem Namen des Vaters, möglicherweise über eine Kette von Vorfahren. Zum Beispiel: „Ahmad ibn Mohammad ibn Abdullah“.

Die wiederholte Betonung in Koran und Hadith, sich „dem eigenen Vater zuzuschreiben“ , zeigt, dass das Konzept des Nasab nicht nur eine kulturelle Präferenz ist, sondern ein grundlegendes Prinzip des islamischen Rechts. Seine Bedeutung geht über die persönliche Identität hinaus und untermauert das gesamte Gerüst des Familienrechts, des Erbrechts und der sozialen Ordnung.

Das Verbot, Nasab zu leugnen, ist daher nicht willkürlich, sondern zielt darauf ab, Verwirrung, Betrug und die Störung dieser etablierten rechtlichen und sozialen Strukturen zu verhindern. Dies deutet darauf hin, dass die Bewahrung einer klaren, überprüfbaren Abstammung von größter Bedeutung für die Aufrechterhaltung der Integrität des rechtlichen und sozialen Gefüges der muslimischen Gemeinschaft ist. Jede Diskussion über Namensänderungen, insbesondere Nachnamen, muss daher unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, ob eine solche Änderung die Klarheit und Integrität des Nasab aus Sicht des islamischen Rechts beeinträchtigt.

II. Verständnis von Nachnamen in modernen westlichen Kontexten

Historische Entwicklung von Nachnamen in muslimischen Gesellschaften

Traditionelle arabische und die meisten anderen muslimischen Völker verwendeten historisch keine westlichen Nachnamen oder Familiennamen. Die Namenskonventionen basierten auf einem System von Ism (Vorname), Nasab (patronymische Abstammung), Kunyah (Beiname, z.B. „Vater von X“), Laqab (Ehrentitel) und Nisbah (attributiver Name).

Die Annahme fester Nachnamen in der muslimischen Welt ist ein relativ junges Phänomen, das maßgeblich von westlichen Bräuchen und politischem Druck, wie Namensgesetzen in verschiedenen Ländern, beeinflusst wurde. Dies bedeutet, dass moderne Nachnamen oft ein kultureller Import sind und keine indigene islamische Namenspraxis darstellen.

Unterscheidung zwischen Nasab und modernen westlichen Nachnamen

Ein Nasab bezeichnet explizit eine direkte väterliche Abstammung, z.B. „Ibn“ oder „Bint“ gefolgt vom Namen des Vaters. Eine Nisbah (نسبة) ist ein attributiver Name, der eine Eigenschaft, einen Vorfahrenstamm, einen Clan, eine Familie, einen Beruf, eine Stadt, ein Land oder einen anderen relevanten Begriff bezeichnet. Beispiele hierfür sind Al-Fārisī (der Perser) oder Al-Ghazzālī (bezogen auf den Familienberuf des Baumwollspinnens).

Moderne westliche Nachnamen, obwohl oft geerbt, geben nicht immer direkt den Vornamen des unmittelbaren Vaters an. Sie können berufsbezogen, geografisch oder von anderen Attributen abgeleitet sein. In diesem Sinne funktionieren viele westliche Nachnamen eher wie eine Nisbah – eine feste Familienkennung – als ein wörtliches Nasab (Abstammung). Ein Nachname gibt nicht das Nasab an, und seine Änderung bedeutet keine Leugnung des Nasab. Ein Nachname ist ursprünglich und im Grunde eine Art Nisbah und kein Patronymikon.

Die traditionelle islamische Betonung des Nasab (wörtliche Vaterschaft)  entwickelte sich in einem Namenssystem, in dem die Abstammung explizit war (z.B. „Ibn/Bint“). Dies führt zu einer funktionalen Diskrepanz: Wenn ein Nachname kein wörtliches Nasab ist, dann ist seine Änderung nicht gleichbedeutend mit der Leugnung des eigenen Vaters im von islamischen Texten verbotenen Sinne. 

Analyse von „Müller“ in diesem Kontext als Beispiel 

Der Nachname „Müller“ ist ein berufsbezogener Nachname. Er übersetzt sich nicht direkt in „Sohn von [Vornamen des Vaters]“. Daher fungiert er eher als Nisbah (attributiver Name) oder eine allgemeine Familienkennung denn als direktes patronymisches Nasab.

Angesichts der Tatsache, dass der Nachname „Müller“ ein berufsbezogener Nachname und somit eine Art Nisbah ist, bedeutet dies, dass er nicht wörtlich „Sohn/Tochter des Müller“ bedeutet. Wenn die Anfragende ihren Nachnamen „Müller“ in den Nachnamen ihres Ehemanns ändert, ersetzt sie nicht wörtlich ein direktes väterliches Nasab (wie „Tochter von Peter“) durch ein anderes väterliches Nasab (wie „Tochter von Lustig“). Stattdessen ersetzt sie eine nicht-patronymische Familienkennung (eine Nisbah) durch eine andere. 

Dies legt nahe, dass die Strenge der Regelung zu Nachnamensänderungen vom Typ des betreffenden Nachnamens und seiner kulturellen Funktion (wörtliches Patronymikon vs. allgemeine Familienkennung/Nisbah) abhängt. Der Fokus verschiebt sich vom Akt der Namensänderung auf die Bedeutung und Absicht dahinter innerhalb eines spezifischen kulturellen und sprachlichen Kontextes.

Tabelle 1: Vergleich traditioneller islamischer Namenselemente mit westlichen Nachnamen

Merkmal

Traditionelle islamische Namenselemente

Moderne westliche Nachnamen

Ism (Vorname)

Persönlicher gegebener Name (z.B. Muhammad, Aisha)

Persönlicher gegebener Name

Nasab (Abstammung)

Patronymische Abstammung (z.B. „Ibn“/„Bint“ + Vatersname, wie „’Abdullah ibn Abdul-Asad“) – Direkter väterlicher Bezug

Nicht immer ein direkter patronymischer Bezug; kann von verschiedenen Quellen stammen

Nisbah (Attributiver Name)

Beschreibender Name (z.B. Al-Fārisī „der Perser“, Al-Ghazzālī „der Baumwollspinner“, „Müller“ „der Müller“) – Zeigt Herkunft, Beruf, Eigenschaft; kann zu festem Familiennamen werden

Oft eine feste Familienkennung, die über Generationen weitergegeben wird

Kunyah (Beiname)

Agnomen (z.B. Abu Bakr „Vater von Bakr“, Umm Salamah „Mutter von Salamah“)

Nicht direkt vergleichbar; informelle Spitznamen können existieren

Laqab (Ehrentitel)

Ehrentitel oder beschreibender Titel (z.B. Al-Siddiq „der Wahrhaftige“)

Nicht direkt vergleichbar; Ehrentitel oder Titel können existieren

Funktion

Klare Identifikation, Bestimmung von Rechten/Pflichten, Vermeidung von Heiratsverboten, Status

Hauptidentifikator für administrative und soziale Zwecke, oft als kollektiver Familienname wahrgenommen

Diese Tabelle ist von grundlegendem Wert, da die gesamte juristische Debatte auf dem konzeptionellen Unterschied zwischen Nasab und modernen Nachnamen beruht. Durch die Darstellung der unterschiedlichen Komponenten traditioneller islamischer Namensgebung und deren Kontrastierung mit der Natur und Funktion westlicher Nachnamen können wir effektiv veranschaulichen, warum eine Nachnamensänderung nicht unbedingt das Nasab-Prinzip verletzt. Sie bietet ein grundlegendes Verständnis, klärt die Terminologie und den historischen Kontext.

III. Annahme des Nachnamens des Ehemanns durch Ehefrauen

 

Argumente für das Verbot:

  • Leugnung der Abstammung (Nasab): Das prominenteste Argument ist, dass die Annahme des Nachnamens des Ehemanns eine Zuschreibung zu jemand anderem als dem eigenen biologischen Vater darstellt, was verboten ist. Diese Ansicht vertritt, dass „Name = Abstammung“.
  • Nachahmung von Nicht-Muslimen (Tashabbuh): Manche argumentieren, dass diese Praxis eine Nachahmung nicht-muslimischer Bräuche darstellt, was generell missbilligt wird, insbesondere wenn es sich um für sie spezifische Praktiken handelt. Der Hadith „Wer ein Volk nachahmt, gehört zu ihnen“ wird in diesem Zusammenhang oft zitiert.

 

B. Die Zulässigkeit: Bedingungen und Interpretationen

Argumente für die Zulässigkeit:

 

  • Nachname als Nisbah, nicht Nasab: Die Unterscheidung zwischen einem traditionellen Nasab (das wörtlich „Sohn/Tochter von“ bedeutet) und einem modernen westlichen Nachnamen. Wie in Abschnitt II erörtert, wenn ein Nachname als feste Familienkennung oder als Nisbah (attributiver Name) und nicht als wörtliches Patronymikon verstanden wird, dann ist seine Änderung nicht gleichbedeutend mit der Leugnung des Nasab. Damit ist die Kernthese des Verbotarguments nicht mehr gegeben. Viele verbietende Aussagen verkennen die Realität von Nachnahmen im Westen und ihre Funktionen.
  • Die Behauptung der Nachahmung ist kein gültiges Argument, wenn ein Phänomen keine religiöse oder ethnische Gruppe kennzeichnet und für sie eigenartig ist. Entsprechend ist z. B. das Tragen einer Jeans heute kein kennzeichnendes Merkmal für irgendeine religiöse oder ethnische Zuordnung. 

 

IV. Spezifische Überlegungen für Konvertiten und nicht-patronymische Nachnamen

Die Situation der Anfrage über eine Konvertitin mit einem nicht-patronymischen Nachnamen („Müller“) führt zu spezifischen Nuancen in der allgemeinen Diskussion.

Allgemeine islamische Regeln für Namensänderungen bei neuen Konvertiten

Bei der Konversion zum Islam besteht im Allgemeinen keine Verpflichtung, den Namen zu ändern

Wichtig ist, dass der Prophet Muhammad (Friede und Segen Allahs seien auf ihm) die Namen der Väter der Menschen nie geändert hat, selbst wenn sie unislamisch waren, sondern nur ihre Vornamen, wenn sie problematische Bedeutungen hatten. 

Der Fall „Müller“ im Lichte der Nasab-Prinzipien

Wenn die Änderung eines Nachnamens, insbesondere eines bereits nicht-patronymischen, einer Konvertitin oder gebürtigen Muslimin hilft, sich in ihre neue Ehefamilie zu integrieren oder gesellschaftliche Normen zu navigieren, ohne ihre wahre biologische Abstammung zu leugnen, könnte dies als im Einklang mit einem breiteren islamischen Ziel der Erleichterung und sozialen Harmonie gesehen werden, insbesondere in Minderheitskontexten. 

V. Fazit und praktische Empfehlungen

Relevanz für die Situation der Anfrage

Nachnamen sind heutzutage nicht-patronymischer Bezeichnungen(eine Nisbah). Daher kann die Änderung in den Nachnamen des Ehemanns als Annahme einer neuen Familienkennung und nicht als Leugnung eines wörtlichen väterlichen Nasab interpretiert werden, das in ihrem ursprünglichen Namen explizit widergespiegelt wurde.

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