Die Verschiebung in der Interpretation Islamischer Überzeugungen: Einfluss des Liberalismus und Abnehmende Religiöse Hingabe
In der heutigen Zeit erleben wir eine Verschiebung in der Interpretation und Praxis religiöser Überzeugungen. Diese Verschiebung ist weniger das Ergebnis wissenschaftlicher Erkenntnisse als vielmehr das Produkt der Dominanz fremder Wertesysteme und einer abnehmenden religiösen Hingabe. In diesem Essay werde ich diese Phänomene näher untersuchen.
Viele zeitgenössische Abweichungen im Bereich der Überzeugungen, des Denkens und der Kultur gehen in Wirklichkeit nicht auf ein wissenschaftliches Erkenntnisproblem im Rahmen von Zweifeln oder Missverständnissen religiöser Texte und Konzepte zurück. Vielmehr stehen dahinter andere Faktoren, die zu vielen abweichenden Überzeugungen und Vorstellungen beitragen. Wer über viele intellektuellen/gedanklichen Abweichungen in dieser Zeit nachdenkt, wird feststellen, dass sie auf ein Zusammenspiel zweier Elemente zurückgehen:
- Die Dominanz und Hegemonie fremder Werte- und Moralmodelle.
- Gepaart mit der Schwäche der Hingabe an an Gott und Seinen Gesandten.
Unter dem Druck der dominierenden Weltansicht, wird krankhaft versucht, alle Normen, Anschauen und Werte der Religion, die mit diesem Monstrum in Konflikt stehen, in Harmonie mit ihm zu bringen. Wenn dies kläglich scheitert, dann wird es einfach abgelehnt, mit den fadenscheinigsten Begründungen. Die Fahne der Scharia wird stolz hochgehoben, wenn sie in Einklang mit der dominierenden Weltanschauung steht. Warum? Etwa wegen der epistemischen Überlegenheit der dominierenden Weltanschauung und Wertesystem? Nein, denn durch den Druck sind diese Werte gleich Doktrinen oder Axiome, die selbstevident sind und die keinerlei weitere Beweise benötigen.
﴿وَإِذَا دُعُوا إِلَى اللَّهِ وَرَسُولِهِ لِيَحْكُمَ بَيْنَهُمْ إِذَا فَرِيقٌ مِنْهُمْ مُعْرِضُونَ (٤٨) وَإِنْ يَكُنْ لَهُمُ الْحَقُّ يَأْتُوا إِلَيْهِ مُذْعِنِينَ (٤٩) أَفِي قُلُوبِهِمْ مَرَضٌ أَمِ ارْتَابُوا أَمْ يَخَافُونَ أَنْ يَحِيفَ اللَّهُ عَلَيْهِمْ وَرَسُولُهُ بَلْ أُولَئِكَ هُمُ الظَّالِمُونَ (٥٠)﴾ [النور: 48-50]
“Und wenn sie zu Allah und Seinem Gesandten gerufen werden, damit er zwischen ihnen richte, wendet sich sogleich eine Gruppe von ihnen ab. Wenn aber das Recht auf ihrer Seite ist, dann kommen sie zu ihm, bereit, sich zu unterwerfen. Ist denn in ihren Herzen Krankheit, oder haben sie etwa Zweifel, oder befürchten sie, dass Allah gegen sie ungerecht sein könnte, und (auch) Sein Gesandter? Nein! Vielmehr sind eben sie die Ungerechten.” (an-Nur: 48-50)
Das heutige dominierende Modell ist das des Liberalismus und viele Grundvorstellungen, die ein normaler Mensch annimmt, entspringen nicht der Intuition oder rationellen Schlussfolgerungen. Sie haben ihren Ursprung im Gemüt des Menschen einfach ihrer Dominanz zu verdanken.
Nur um ein Beispiel zu erwähnen:
Der Islam, sowie viele Kulturen und andere Religionen, haben bestimmte geschlechterspezifische Rollen und Aufgaben. Hinzu wird dem Mann die Führungsrolle gegeben, da er dazu verpflichtet ist, seine Familie zu schützen und behüten und dies erfordert nun auch gewisse Autorität.
Für viele Opfer der hegemonialen Wertekultur ist dies empörend. Doch wieso? Welche moralisch, ethischen Beweise haben sie gegen dieses Konzept? Was ist ihr Konzept von Gerechtigkeit und womit beweisen sie es? Ihr Beweis ist in der Regel nichts anderes als die Konvention, was jedoch nicht ausreicht für eine objektive und ultimative Wahrheit.
Warum wird die Abtreibung von Babys als immer normaler empfunden, wohingegen der vegane Lebensstil immer beliebter wird? Mit welcher konsistenten Moral wird dies gerechtfertigt?
Das Thema ist sehr komplex und sensibel. Was wir erfahren ist, dass der muslimische Diskurs sich auch darauf vorbereiten muss, intellektuell die Mentalmodelle zu zerlegen und zu widerlegen. Wer ein vorgefasste Meinung und Vorstellung von Gerechtigkeit, in denen Gerechtigkeit gleichgesetzt wird mit (liberalistischer) Freiheit und Gleichheit, der wird mit Geschlechterrollen, sexuelle Restriktionen und vielem anderen konzeptionelle Probleme haben. Man muss sein Konzept von Gerechtigkeit hinterfragen und destruieren und somit eine neue Grundlage schaffen.
Wer die erkenntnistheoretische Auffassung hat, dass ein Beweis nur dann einer ist, wenn er empirisch ist, der wird von dir erwarten, dass du ihm einen Gottesbeweis zeigst, mit dem er Gott “sehen” oder “fühlen” kann. Ein Skeptiker muss erst davon überzeugt werden, dass Menschen überhaupt objektiv wahre Erkenntnis erlangen können um überhaupt irgendein Gespräch mit ihm zu führen.
Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass der muslimische Diskurs sich darauf vorbereitet, diese Mentalmodelle intellektuell zu zerlegen und zu hinterfragen. Nur durch eine solide erkenntnistheoretische Grundlage und ein tiefes Verständnis der eigenen religiösen Texte können Muslime eine authentische und beständige Praxis ihrer Religion sicherstellen.